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Feinschliff in der Schanze – Teil 1

Peter Fox hat es besungen, im Hamburger Schanzenviertel wird es umgesetzt: Alles neu. Links das Weindepot, in dem Anzugträger kurz vor dem Wochenende noch einen edlen Tropfen kaufen. Rechts ein moderner Optiker, der mit ausgewählten Marken wirbt. Rundherum Cafés, die das schwarze Gold „to go“ in Pappbecher füllen. Kaum etwas erinnert an die Vergangenheit des Viertels rund um den ehemaligen Schlachthof. Außer das Geschäft von Friedrich Jürges, das aus einer anderen Zeit entsprungen scheint. Seit 100 Jahren werden hier Messer in Handarbeit geschärft. Alles neu?

Friedrich Jürges – helles Hemd, dunkelblaue Strickjacke, weißer Oberlippenbart – ist skeptisch. „Und warum genau wollt ihr ein Porträt über mich machen?“, fragt der 65-Jährige. Dabei weiß er die Antwort selber am besten. Vom TV-Koch bis zum Hobby-Küchenheld, bei ihm kaufen Hamburger ihre Messer und lassen sie schärfen. Und weil Friedrich Jürges der Vierte (der älteste Sohn erhält seit Generationen den gleichen Vornamen) eine herrliche Mischung aus klassischem Hamburger Kaufmann und modernem Unternehmer ist.

Diesen Mix aus traditionell und frisch strahlen auch die Räumlichkeiten in der Schanzenstraße aus. Während das gelbliche Licht der Auslage und die Werbeschilder darüber echtes Retro-Feeling vermitteln, prangt auf dem Lieferanteneingang ein modernes Graffiti. Innen liegen innovative Messer in einer Regalwand, die aus dem letzten Jahrtausend stammt. Doch wir wollen hinter die Kulissen. Vorbei am schweren Apothekerschrank, in dem die fertigen Messer in Zeitungspapier verpackt auf ihre Abholung warten. Quer durch den Aufenthaltsraum mit der mobilen Herdplatte, der den Geruch deftiger Eintöpfe verströmt, die hier Mittags aufgewärmt werden. Hinein in das Herzstück: Die Schleiferei.

Handarbeit seit drei Generationen

Eine Unmenge an Werkzeug ist hier vorhanden, Geräte stehen überall im großen Raum. Funken fliegen an der Korundstein-Schleifmaschine. Eine Mischung aus Öl und abgewetztem Metall liegt in der Luft, jeder Schritt wird von Ablagerungen gedämpft. Bei der Arbeit in diesem Bereich kommt dem Mensch noch eine zentrale Rolle zu, da es keine maschinelle Komplettlösung zum Schleifen gibt, die für alle Klingen angewendet werden könnte. „Jedes Messer stellt andere Anforderungen. Unsere Mitarbeiter sind Gold wert – man braucht zwei bis drei Jahre, bis man alles kann“, sagt Jürges.

Er weiß, wovon er spricht. Seit 1976 arbeitet der Sympathieträger im Familienbetrieb. Sein Großvater, Jürges der Zweite, lernte in seiner Heimat Solingen die Scherenschleiferei. Ausgestattet mit dem Wissen aus einem Ort, der seit dem 16. Jahrhundert als das Nonplusultra der Messermacher galt, verschlugen ihn die Wirren des Ersten Weltkriegs nach Hamburg. 1919 gründete der Ahn das Unternehmen und machte sich mit dem Schärfen von Viehscheren einen Namen. Er sorgte dafür, dass Rinderklauen aufgehübscht werden konnten und die Tiere bei Auktionen auf dem nahegelegenen Fleischmarkt einen guten Preis erlösten. „Im Grunde war das wie bei einem Auto, das man vor dem Verkauf herausputzt“, sagt der Enkel, wobei die Lachfalten neben den Augen versprechen, dass das nicht der einzige humorvolle Vergleich bleiben wird.

Wie der sympathische Hanseat auf ungewöhnliche Weise die Frau fürs Leben fand und weshalb die Zukunft für „Messer-Jürges“ ungewiss ist, lest ihr im zweiten Teil.

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