Handball, Handball-EM, Nationalmannschaft

Anwurf zur größten Handball-EM aller Zeiten

Die Handball-Europameisterschaft beginnt am heutigen Donnerstag – und die deutsche Nationalmannschaft ist beim Auftaktspiel gegen die Niederlande direkt gefordert. Wir haben mit dem Welt- und Europameister Tosten Jansen über die Chancen des DHB-Teams, mögliche Vorteile durch die Verletzungsmisere, Lagerkoller und blinde Hühner gesprochen.

Reisestress vorprogrammiert

Die 14. Auflage der Handball-Europameisterschaft bringt viel Neues: Erstmals gehen 24 Nationen an den Start, acht mehr als üblich. Zudem teilen sich mit Norwegen, Schweden und Österreich gleich drei Länder die Gastgeberrolle. Eine ungewöhnliche Kooperation: Während die ersten Partien der deutschen Mannschaft in Trondheim angesetzt sind, würde die Hauptrunde im über 1.700 Kilometer entfernten Wien stattfinden. Für mögliche Finalspiele müsste der Tross zurück gen Norden bis nach Stockholm reisen.

Auch Ex-Nationalspieler Torsten „Toto“ Jansen staunt über die Planung der Europäischen Handballföderation (EHF): „Das ist schon ein bisschen komisch. Man muss abwarten, wie sich die Stimmung entwickelt. Außerdem reden wir alle vom Klimawandel, dann ergeben solche Wege für die Mannschaften noch weniger Sinn.“ Der Trainer des Handball Sport Verein Hamburg favorisiert eine übersichtlichere Ausrichter-Situation: „Ich persönlich fand es besser, durch ein Land zu reisen. Auch die vergangene Weltmeisterschaft, die sich Deutschland und Dänemark geteilt haben, fühlte sich nur wie eine halbe Heim-WM an.“

Wer wird die Überraschung?

Neben dem Reisestress warten auch auf dem Parkett einige Herausforderungen auf die deutsche Auswahlmannschaft. In der Gruppenphase geht es gegen die Niederlande, Mit-Favorit Spanien und Lettland um die ersten beiden Plätze, in der Hauptrunde könnte es zum Aufeinandertreffen mit den starken Kroaten kommen. Für den Experten ist das Turnier eine Wundertüte: „Der Einzug in die Hauptrunde sollte möglich sein. Allerdings fallen mir aus dem Stand sechs bis acht Mannschaften ein, die sehr gut sind und weit kommen können bei der Handball-Europameisterschaft.“

Neben den Handball-Nationen um Weltmeister Dänemark, Frankreich, Spanien, Kroatien, Slowenien sowie die Gastgeber Norwegen und Schweden rechnet Jansen auch in diesem Jahr mit einer Überraschung in der Finalrunde. Nur wer das wird, darauf mag sich der Wahl-Hamburger nicht festlegen: „Es ist doch schön, dass man nicht vorhersagen kann, was passiert. Die Handball-Europameisterschaft wird auf jeden Fall eine hohe Leistungsdichte haben.“ Wie weit es für das deutsche Team geht ist auch davon abhängig, ob Bundestrainer Christian Prokop die zahlreichen Ausfälle kompensieren kann.

Neue Möglichkeiten

Allein sieben Rückraumspieler meldeten sich bereits vor dem ersten Anwurf ab. Nun müssen Akteure das Kommando in der Zentrale übernehmen, die keine gelernten Regisseure sind. „Jeder Ausfall wiegt schwer, gibt aber die Möglichkeit für andere Jungs, sich zu zeigen“, so Jansen. Oftmals würden bereits in der Nominierung nur Nuancen entscheiden, da die Leistungsunterschiede auf den einzelnen Positionen minimal sind.

Der ehemalige Linksaußen muss es wissen: Er lief 178 Mal für die Auswahlmannschaft auf und erlebte bei der erfolgreichen Heim-WM 2007 einen wahren Lauf, brachte rund 90 Prozent seiner Würfe im gegnerischen Tor unter. „Ein blindes Huhn findet auch mal ein Korn“, lacht Jansen, als er auf die herausragende Quote angesprochen wird. „Natürlich wächst während eines Turniers das Selbstvertrauen mit jedem Sieg. Trotzdem muss man immer auf die nächste Situation vorbereitet sein“, da sich die Spiele schnell drehen können – Glück und Unglück liegen eng beieinander.

„Es gibt kein Patentrezept“

„Manche Turniere verliert man wegen einem Tor oder zwei, drei blöden Entscheidungen. Es gibt kein Patentrezept für Erfolg“, erklärt „Toto“. Das gelte auch für die Freizeitbeschäftigung zwischen den Partien: „In jedem Team sind unterschiedliche Typen vertreten, die mit der Situation anders umgehen. Manche freuen sich, gemeinsam im Aufenthaltsraum an der Konsole zu hocken. Ich konnte auch ganz gut alleine Spazierengehen oder ein Buch lesen.“

Der berühmte Lagerkoller entsteht laut Jansen meistens in der Vorbereitung und ist zu diesem Zeitpunkt bereits überwunden, „beim Turnier geht es nur noch darum, zu gewinnen.“ Dabei dürfte es mit jedem siegreichen Duell schwerer werden, abzuschalten: Die öffentliche Aufmerksamkeit steigt mit zunehmender Dauer des Events. „Der Medienrummel wird immer größer. Die Spieler müssen sich nach den Gesprächen mit den Journalisten aber schnell wieder auf das Wichtigste konzentrieren. Hinterher haben es eh alle besser gewusst.“

Licht und Schatten

Für den deutschen Meister von 2011 heißt es ab dem kommenden Montag wieder: Zweite Liga statt Handball-Europameisterschaft. Als Trainer des Zweitligisten Handball Sport Verein Hamburg steht die Vorbereitung auf die zweite Saisonhälfte an, aktuell ist der HSVH Neunter. „Bislang gab es relativ viel Licht, aber immer wieder auch Schatten. Wir spielen nicht so konstant wie erhofft und haben den einen oder anderen Punkt blöd liegengelassen.“

Oft entscheidet in der physisch geprägten Sportart die Psyche über Sieg oder Niederlage, wie Jansen sagt: „Das ist ein Tanz auf der Rasierklinge. Manche haben in den wichtigen Phasen den Mut, etwas Verrücktes zu machen.“ Doch wann vereint mal wieder ein Nationalspieler aus der Hansestadt diese beiden Komponenten und reist mit zu einem großen Turnier, Herr Jansen? „Ich bin kein Hellseher. Vielleicht aber noch in diesem Jahrzehnt.“

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