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Die Energie im Fluss: Kunst aus Hamburg

Als Marco Maximilian Bender in seiner Freizeit begann, Kunstwerke im heimischen Wohnzimmer in Eimsbüttel anzufertigen, brannte ihm beinahe sein langer Vollbart ab. Rund drei Jahre und viele Wutausbrüche später verkauft der Wahl-Hamburger seine Bilder mittlerweile an Kunden auf der ganzen Welt. Wir haben mit dem Künstler, der sich selber so niemals bezeichnen würde, über Energie beim Malen, den Ausgleich zum Alltagsstress und die Bedeutung von Kunst gesprochen.

Abstrakt? Marco muss nachdenken. Er stockt kurz, die tätowierten Finger scheinen geradezu nach einer Antwort zu ringen. „Ich weiß nicht, ob man meine Bilder abstrakt nennen kann“, antwortet der gebürtige Baden-Badener einige Sekunden später. Diese Szene ist gleich in doppelter Hinsicht besonders: Zum einen passiert es nicht oft, dass Marco um eine Antwort verlegen ist. Und sie zeigt, wie ungewöhnlich und gleichzeitig besonders seine Werke sind.

Keine Kunst von der Stange

Denn Marcos Bilder tanzen aus der Reihe: Aus verschiedenen Farben, Pigmenten, Blattgold und Harz entstehen Unikate, die aussehen, als wären sie auch im fertigen Zustand flüssig. Gleichzeitig vermitteln sie eine Tiefe, die weit über den Rahmen hinauszugehen scheint. Als Betrachter verliert man sich schnell in den Farbverläufen – und von jedem Blickwinkel unterscheiden sich die Werke. „Dem Kunden schicke ich das Bild immer so, dass er die Möglichkeit hat, es an vier Positionen anzubringen. So kann er nach einem halben Jahr sagen: Ich drehe es einfach um, und schaue, wie es dann aussieht. Es wirkt jedes Mal ganz anders.“

Bis er das passende Papier und die richtige Mischung der Inhalte fand, verging viel Zeit es. Und kostete viel Geld und Nerven: „Zu Anfang flogen die Bilder durch die Wohnung oder es landete auch mal ein Messer darin. Es dauerte ungefähr vier Monate, bis ich die Technik raushatte.“ Wie erschafft Marco diese farblichen Kompositionen? „Meine Geheimnisse möchte ich nicht im Detail verraten, weil ich Angst habe, dass es Leute gibt, die es nachmachen. Ich bediene mich bei Mitteln wie Isopropanol, das ist 99,9-prozentiger Alkohol, Holz, einer bestimmten Sorte Papier mit hoher Grammatur und diversen Farben.“

Zudem holt Epoxidharz die einzelnen Farbtöne kräftig hervor und ein Sprühkleber sorgt für die gewünschte Festigkeit: „Innerhalb von Tagen härtet es immer mehr aus und wird komplett fest, wie Glas.“ Bevor die verschiedenen Ebenen für immer konserviert sind, bleibt für den Perfektionisten ein kleiner Zeitkorridor, um die Farbverläufe nochmals mit viel Fingerspitzengefühl anzupassen: „Wenn ich etwas verändern oder dem Bild mehr Tiefe verleihen will, kann ich es in der Entstehung wieder zum Leben erwecken. Man muss sich aber beeilen“, erklärt Marco.

Feuer und Flamme

Um die Ebenen für immer einzufangen, wird es im Entstehungsprozess heiß: Mit einer sogenannten Heat Gun erhitzt Marco die Bestandteile. Einmal fackelte der künstlerische Autodidakt dabei beinahe seinen imposanten schwarzen Vollbart ab, den er seit fünf Jahren trägt und bei Eric:Barbier pflegen lässt. Es befand sich noch immer Alkohol in der Farbe, als Marco das Harz aushärten wollte und eine Verpuffung herbeiführte. Jetzt kann er über seine Fauxpas lachen. „Meine Verlobte Joana hatte geschlafen, und ich habe das brennende Bild auf unseren Balkon geworfen. Dann kommt von ihr immer der Spruch: ‚Jetzt reg‘ dich nicht so auf‘. Dann habe ich mich natürlich noch viel mehr aufgeregt, weil ich so ein emotionsgeladener Mensch bin.“

Diese Emotionen zu steuern, stellte Marco in der Vergangenheit vor einige Bewährungsproben. Nach dem Hauptschulabschluss fing er zunächst eine Ausbildung zum Landschaftsgärtner an („das war nicht das Richtige für mich“), jobbte als Türsteher und war in Schlägereien verwickelt. Sport war das erste Ventil, verschiedene Kampfsportstile und Krafttraining bremsten das innere Pendel zusehends. Dann gesellte sich die Kunst dazu: „Ich habe schon als Kind gerne gezeichnet, aber nie in diesem Umfang. Dafür fehlten mir auch einfach die Voraussetzungen.“ Doch Ausreden gelten nicht für Marco: Er holte seinen Realschulabschluss nach, begann eine Mediendesign-Ausbildung und ließ das Grafikstudium folgen, das ihn vor einigen Jahren in die Hansestadt führen sollte.

Ein Sturkopf mit Erfolg

Hier vertiefte er auch seine künstlerischen Fähigkeiten, die früher bei ersten Gehversuchen im Sketchbook landeten. Es folgten Porträts von Promis wie Cara Delevingne oder Freunden. „Ich habe damals gesagt: ‚Ich male jetzt ein Bild und verkaufe das.‘ Die Leute haben zwar nicht gelacht, aber waren sehr gespannt.“ Gesagt, getan – und ein erster Käufer fand sich schneller als gedacht. „So bin ich einfach: Wenn ich mir etwas in den Kopf setze, dann muss ich das auch machen“, erklärt Marco.

Die Reproduktion einer Vorlage beim Porträtieren war allerdings nicht das, was der Marketingmanager brauchte, um den Alltagsstress hinter sich zu lassen. Also machte er sich mit seiner eigenen Farb-Mischung ans Werk und begann, in seiner Freizeit charakteristische Einzelstücke herzustellen. Als Künstler bezeichnet sich Marco dennoch nicht gerne: „Künstler sein bedeutet nicht, Kunst gelernt oder studiert zu haben. Für mich ist wichtig, das zu machen, was einem gefällt und sich dabei auszuleben.“ So spornt er auch die eigenen Azubis an, mal zum Wasserfarbkasten aus Schultagen zu greifen und kreativ zu werden.

Auch mit dem klassischen Kunstbegriff kann der Eimsbütteler nicht viel anfangen: „Ich finde, heutzutage wird eh viel zu vorschnell mit dem Thema Kunst umgegangen. Alles, was irgendjemand malt oder an die Wand spritzt, ist abstrakte Kunst. Alles, was irgendwie bunt ist und nach Comic aussieht, ist sofort Pop-Art“, erklärt Marco – und legt seine kahle Stirn in Falten, während seine braunen Augen immer noch lachen. „Ich kenne so viele Leute, die schöne Dinge machen, die aber nicht als Kunst angesehen werden, weil es nicht dem bekannten Muster entspricht.“

„Die Energie muss fließen“

Was treibt Marco an, woher kommt die Inspiration, in seiner Freizeit das heimische Wohnzimmer komplett umzuräumen, abzudecken und so vor den klebenden Farben und Harzen zu schützen? „Viele erwarten, ich greife zu irgendwelchen Substanzen, die ich nie genommen habe. Ich rauche nicht, ich trinke nicht, ich nehme keinen Stoff, gar nichts, noch nie, und das will ich auch gar nicht.“ Viel mehr geht es dem Süddeutschen darum, wie mit einem Katalysator Stress abzubauen und „die Energie fließen zu lassen.“

Die spirituelle Prägung kommt durch die Mutter. Bei Besuchen in der Heimat zieht es die beiden oft hoch an das Alte Schloss zu Hohenbaden vor der Haustür des Elternhauses, um hier die Energie der mittelalterlichen Umgebung aufzunehmen. Verständlich, dass der Umzug nach Hamburg den Schwarzwälder daher zunächst vor große Herausforderungen stellte: „Ich war immer schon ein naturbezogener Typ, bin sehr gerne im Wald und liebe Tiere mehr als Menschen. Und wenn dann diese Menschenmassen auf dich zukommen, das ist schon schwierig.“ Die Natur fehle ihm sehr, weshalb der Fokus umso stärker auf den quasi-meditativen Zustand beim Malen gelegt wird: „Da verliere ich mich dann total drin und bin für einen Moment weg.“

Schwerer Abschied in die ganze Welt

Einziges Problem an der Energieübertragung von Mensch auf Kunstwerk: „Ich möchte viele Bilder gar nicht abgeben, weil sie mir so ans Herz gewachsen sind in der Entstehung. Schicke ich sie ab, ist es, als würde ich ein Teil von mir verlieren“, lacht Marco. Doch die Vernunft hat sich bislang immer durchgesetzt und erreicht, dass sich die Pakete auf die Reise zu ihren Auftraggebern gemacht haben. Inzwischen sind die stets flüssig wirkenden Werke auf mehreren Kontinenten vertreten und zieren auch Wände in Puerto Rico oder den Vereinigten Staaten. Kreative Ideen gibt es viele, Ende des Jahres soll unter anderem eine Schiebetür für einen Schrank verziert werden, aus Frankfurt kam zudem der Auftrag für eine Duschwand und Küchenzeile.

Im eigenen Zuhause zieren aktuell vier eigene Bilder die Wände, neben Fotografien und selbstgezeichneten Porträts. Und vielleicht kommt bald ein Foto des Machu Picchu dazu, der legendären Inka-Stadt in den Anden. „Weil ich spirituell in diesem Bereich unterwegs bin, zieht mich dieser Ort geradezu an. Das wollte ich immer schon sehen, genau wie die Osterinseln, Guatemala oder auch die vielen Tempel in Mexiko“, zählt Marco auf und könnte die Liste wahrscheinlich noch ewig weiterführen. Wer weiß, welche Energie er an diesen sagenumwobenen Orten spürt – und schließlich zu neuen Kunstwerken verewigt. Ob nun abstrakt oder auch nicht.

Ihr möchtet weitere spannende Persönlichkeiten kennenlernen? Dann kommt mit auf einen Besuch in die älteste Schleiferei Hamburgs!

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